Das Versagen der Presse im Krieg gegen den Irak und nach dem Krieg
Sylvia Weiss, Publizistik und Kunst, Zeitschrift der IG Medien, P&K 12/1992
Die Kritik an der Presse wächst. Wird – wesentlich – darüber berichtet, was opportun ist? Sylvia Weiss hat sich lange und intensiv mit der Literatur über den Golfkrieg beschäftigt und ebenso mit den Berichten über den Krieg in der europäisch/ameri kanischen Presse. Zweimal war sie nach dem Krieg – jeweils für mehrere Wochen – im Irak. Sie hat sich dort mit vielen Menschen auseinandergesetzt, mit Leuten aus der Bevölkerung ebenso wie mit Politikern. Die Diskrepanzen, die sie entdeckte, sind ver heerend, insbesondere in den Resultaten, die die Medien uns vor gesetzt haben. Fest steht: Bis heute wird die Auswahl der Nach richten manipuliert.
In Demokratien wäre es normalerweise die Aufgabe der Presse, die Motive der Politiker in Frage zu stellen, zu kontrollieren, zu überprüfen, zu hinterfragen und Hintergründe zu erhellen. Im Falle des Irak wird der größte Teil der deutschen Presse dieser Aufgabe nicht gerecht. Schlimmer noch, die Presse steigt in die Argumentation der Politiker mit ein.
Kein permanenter Aufschrei geht durch unsere Presse, trotz des Todes in der Nachkriegszeit von (bis jetzt) ca. 150.000 irakischen Kindern, Alten und Schwachen durch Nahrungs- und Medika mentenmangels – wie unabhängige Quellen bestätigen, bedingt durch das US-Embargo. Das ist Völkermord! Mir will scheinen, daß sich die Kultur und Zivilisation der Siegernationen im Umgang mit dem besiegten Gegner erweist. Wenn man die Zivilbevölkerung des Iraks für politische Ziele sterben läßt, dann ist das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Ebenfalls ging kein Aufschrei durch unsere deutsche Presse, als die Amerikaner die Atomanlagen Iraks bombardierten. Die Folgen für die irakische Zivilbevölkerung sind offentsichtlich für unsere westlichte Welt irrelevant, solange es sich nicht um tote Amerikaner oder Europäer handelt. Daß die Alliierten im Golfkrieg hochgradig radioaktive Geschosse (9,3 msr) benutzten, quittiert die deutsche Presse mit Schweigen. Das „Kriegsverbrecher-Tribunal“ gegen die USA, initiiert von dem ehemaligen Justizminister der Vereinigten Staaten, Ramsey Clark, erfährt demzufolge praktisch keine Medienverbreitung.
Daß u.a. der sterbene Kormoran in der riesigen Ölpest des Golfes, die gar nicht stattfand, sowie die angeblichen Greueltaten irakischer Soldaten in Kuwait, amerikanisch-kuwaitische Kriegspropaganda war, hat sich ja inzwischen selbst bei deutschen Journalisten herumgesprochen – daß der amerikanische Ex-Botschafter in Bahrain, Sam Sakham, von Kuwait für public relations gegen Irak sieben Millionen Dollar bekommen hat, noch nicht. Ebenfalls hat es sich bei deutschen Journalisten noch nicht herumgesprochen, daß der Kopf der irakischen Opposition (mit Sitz in London und von England auch mitfinanziert), der Iraker Ahmad Chalabi, in Jordanien wegen des von ihm verschuldeten Zusammenbruches der Petra Bank, deren Präsident er war, zu 35 Jahren Gefängnis wegen Betrugs, Unterschlagung und Mißbrau ches von Bankfinanzmitteln, rechtskräftig verurteilt wurde.
Nicht deutsche Journalisten, sondern der australische Journalist Joe Vialls, der 20 Jahre als Ölberater u. a. auch im Nahen Osten arbeitete, weist zwingend nach, daß mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Amerikaner selbst absichtlich die Ölquellen Kuwaits angezündet haben.
Der humanitäre Bericht des niederländischen UN-Beauftragten Max von der Stoel über Menschenrechtsverletzungen in den Marschen des schiitischen Südens im Irak war der Grund für die Alliierten, im August 1992 eine „Flugverbotszone“ zu verordnen. Stoel hatte die Marschen allerdings gar nicht besucht, er „hatte keine Zeit.“
Der israelische Wissenschaftler Amazia Baram weist durch eine akkurate Analyse der Regienungsgremien Iraks von 1968-1986 u. a. nach, daß bis 1986 die schiitische Beteiligung an der Macht signifikante Prozentzahlen erreicht. Prof. Dr. Eugen Wirth erläutert den Wirtschaftsboom Iraks, die soziale Gesetzgebung, vorbildliches Gesundheitssystem usw. usw. vor dem Krieg.
Was die Kurden anbelangt, so haben sie im Irak mehr Rechte erreicht, als in jedem anderen Land mit hoher kurdischer Bevölkerungsanzahl, aber die unter sich stark zerstrittenen und um Macht und Ansehen kämpfenden Kurdenführer haben sich vom Ausland, speziell von den USA und dem Iran, aber auch von Israel, immer wieder benutzen lassen, was dann zu Tragödien für die eigene, arme kurdische Zivilbevölkerung führte. Talabani und Barzani gehörten zu den 30 größten Großgrundbesitzerfamilien im Irak, die zugunsten von Kleinbauern von der Regierung enteignet wurden! Seit der Verstaatlichung des irakischen Erdöls haben die USA immer wieder Aufstände geschürt und mit großen Summen aus Eigeninteressen kurdische Rebellengruppen unterstützt. (1972 bewilligt Richard Nixon 16 Millionen Dollar – für drei Jahre – für kurdische Freischärler.) Zehntausende von Peshmergas wurden bis zu den Zähnen bewaffnet bis hin zu schweren Geschützen und Raketen. Überfälle auf Züge oder Ölförderungsanlagen wurden von kurdischen Peshmergas ausgeführt. Im Frühling 1992 gibt es im Nordirak ca. 200 Tote und im August 1992 ebenfalls etliche Tote zwischen rivalisierenden kurdischen Gruppen. Am 7. Oktober 1991 töten kurdische Peshmergas 60 irakische Soldaten, die sich vorher ergeben hatten, durch Genickschuß. Die Türkei darf im Gegensatz zum Irak die kurdische Freiheitsbewegung PKK ungehindert massakrieren – je nach westlichem Standpunkt ist das dann Freiheitsbewegung oder eine Terroristenvereinigung.
Artikel 5 der irakischen Verfassung besagt, daß der Irak aus zwei Hauptnationalitäten besteht, der arabischen und der kurdischen. Kurdisch ist Amtssprache in den autonomen Gebieten Dohuk, Arbil und Sulaimaniya, ca. acht Prozent der Gesamtfläche Iraks. Es bestand bis zum Krieg ein geheim gewähltes Regionalparlament. In den autonomen Gebieten wurde kurdisch in den Schulen unterrichtet. In Arbil existiert eine kurdische Universität, aber auch arabische Oberschüler in Bagdad etwa müssen ein Jahr kurdisch lernen. Das kurdische Newroz-Fest ist Nationalfeiertag im Irak. Der Vizepräsident Iraks ist ein Kurde. Es existieren kurdische Zeitungen. Das kurdische Fernsehen hat seit 1974 einen Sender für die Kurden, seit 1975 gibt es in Kirkuk einen kurdischen Rundfunksender. Last not least war bis zum Beginn des Golfkrieges der Chef der Leibwache Saddam Husseins ein kurdischer General, und zwar Sabah Marza. Erst während des Golfkrieges werden die hollywood-spielfilmreif-klaren Giftgasbilder von Halabja gezeigt. Nun müßte man meinen, daß jedes Regime alles dransetzen würde, solche Taten zu verbergen und derartige Bilder wahrscheinlich nur durch einen günstigen Zufall mehr schlecht als recht heimlich aufgenommen werden könnten. Deutsche Journalisten haben da nicht nachgehakt, obwohl in einem U.S. Army War College Bericht steht, daß die Kurden an Zyanid-Gas gestorben sind, und das besaßen nur die Iraner.
Der Golfkrieg ging zu Ende, weil sich viele amerikanische und britische Piloten weigerten, weiter gegen einen Gegner zu fliegen, der sich nicht mehr verteidigen konnte. Das Massaker am Muta Ridge war für diese Weigerung ausschlaggebend. Die Iraker verließen, wie von den Alliierten gefordert, Kuwait und wurden trotzdem angegriffen. Die Fernsehbilder zeigen auf fünf Kilome ter Länge hauptsächlich Zivilfahrzeuge. Panzer hatten, zum Zeichen des Sich-Ergebens, ihre Panzertürme geöffnet. Die aliierten Piloten warfen trotzdem sogenannte Superbomben, die in der Luft explodieren und in einem Bereich von mehreren Quadratkilometern den Sauerstoff verbrennen. Die Menschen sterben eines schrecklichen Todes durch Ersticken oder Zerplatzen der Lungen. Es wurden fast nur Fahrzeuge in der Presse gezeigt, keine Opfer, denn solche Bilder hätte jede öffentliche Meinung kippen können.
Erst am 2. März 91, zwei Tage nach dem Waffenstillstand, findet die große Panzerschlacht des Golfkrieges statt. Die Amerikaner vernichten das irakische Regiment Hamurabi. Bezeichnenderweise brachen am gleichen Tage im schiitischen Süden die Aufstände los. Als die Amerikaner merkten, daß Zehntausende von Iranern mitkämpften, erlaubten sie den Irakern stillschweigend die Benutzung von Flugzeugen und Hubschraubern zur Niederschlagung des Austandes.
Aber langsam keimt in mir der Verdacht, daß unsere Journalisten es sehr wohl wissen, aber nichts darüber schreiben.